Die Entstehung des Marketing
Die Jahrhundertwende um 1890 – Zeit des Umbruchs
Die Entstehung des Marketing war eine Folge von tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Veränderungen um die Wende des vorletzten Jahrhunderts, die durch zahlreiche technische Entwicklungen beschleunigt wurden. Eine erhebliche Ausweitung der Massenproduktion von Gütern und größeren Märkten führte zu zahlreichen praktischen Problemen in den Bereichen Distribution und Markt. Für deren Lösung lieferten die zu dieser Zeit vorherrschenden ökonomischen Theorien, die durch Personen wie Adam Smith, Ricardo, Mill und Marshal vertreten wurden, keinen Beitrag. Grund dafür war, dass zahlreiche ihrer Annahmen nicht mehr mit der Realität übereinstimmten.
Wachsende Märkte entsprachen nicht den vorherrschenden Annahmen der Ökonomen über Märkte. Diese gingen bei ihren Überlegungen von der vollständigen Konkurrenz auf lokalen Märkten aus, auf denen Anbieter und Nachfrager gegenseitig von ihrer Existenz wußten. Mit der starken Expansion von Märkten konnte diese Annahme nicht mehr aufrecht erhalten werden. Neue Bedeutung erhielten Information und Werbung. Größere Märkte ließen höhere Produktionsmengen zu, bislang unbekannte Wettbewerber traten auf und neue operative Strategien wurden entwickelt.
Die vorherrschende ökonomische Theorie ging davon aus, daß die Produktion grundlegend für den Wohlstand einer Gesellschaft sei. Die durch Produktion geschaffenen Werte würden unter den beteiligten Produktionsfaktoren verteilt. Das Ausmaß der Nachfrage auf einem Markt hing nach diesen Überlegungen von den Anteilen dieser Werte in der Hand von Individuen ab. Daraus war u.a. die Idee entstanden, dass die Nachfrage ihren Ursprung im Angebot habe. Während der Industriellen Revolution bildeten tatsächlich auch die in der Produktion erworbenen Einkommen die effektive Nachfrage für die im Markt angebotenen Produkte. J.B. Say generalisierte dieses Phänomen zu der Aussage, dass Angebot Nachfrage schaffe.
UGegen Ende des 19. Jahrhunderts merkte man aber, daß die Nachfrage aus mehr bestand, als nur der einfachen Kaufkraft. Nachfrage spiegelte sowohl einen Wunsch als auch die Möglichkeit eines Kaufes wieder. Durch neue Erfahrungen mit Verkäufern und Werbung stellte man ebenfalls fest, dass sich die Nachfrage auch durch andere Faktoren als nur dem Angebot steuern ließ. Ein solches Konzept war bis dahin in der ökonomischen Theorie unbekannt gewesen, weil die Einkommen weitestgehend auf dem Existenzminimum lagen und damit „Nachfrage schaffende“ Einflüsse nicht wirksam werden konnten. Die zunehmende Inanspruchnahme von Geschäftskrediten, später auch für den privaten Konsum, beschleunigten das Marktwachstum in dieser Zeit. Bessere Bildung, höheres persönliches Einkommen und schnellere Kommunikation schufen einen Markt, der nichts mehr mit dem zu tun hatte, was die frühen ökonomischen Theoretiker beschrieben hatten. Man musste sich entsprechend neue Gedanken über den Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage machen. Der Markt verlangte eine neue Analyse.
Eine andere Vorstellung der damaligen Ökonomen war die der sich selbst regulierenden Märkte, die sich – zumindest langfristig gesehen – aus eigenem Interesse in einem Gleichgewichtszustand einpendeln würden. Mit zunehmendem Wettbewerb konnte auch diese Annahme immer seltener aufrechterhalten werden. Dadurch gewannen Erklärungen für kurzfristige Verhalten der Marktteilnehmer an Bedeutung.
Ein weiteres Problem stellten die Zwischenhändler dar. Individuell gesehen waren sie zwar auch vor der Jahrhundertwende notwendig, kollektiv konstituierten sie aber nicht etwas, was man als distributives „System“ hätte bezeichnen können: Sie waren passiv und dienten den Produzenten weder zur Entwicklung neuer Märkte noch als Handelshäuser. In der Vorstellungswelt der Ökonomen entsprachen sie deshalb nicht den typischen Geschäftsorganisationen.
Uneinigkeit bestand darin, ob Dienstleistungen, die nicht das physische Produkt veränderten, einen Beitrag zum Wohlstand lieferten und damit Werte schafften. Adam Smith ging davon aus, das distributive Aktivitäten nur indirekt zum Wohlstand beitragen könnten, indem sie den Markt vergrößern und damit neue Möglichkeiten für die Ausweitung der Produktion bieten. Ansonsten galt der Handel als unproduktiv. Von den alten Griechen und Römern bis zum 19. Jahrhundert galten Händler oft als Parasiten mit geringem Ansehen. Man vermutete, daß sie als Zwischenhändler lediglich zusätzliche Kosten verursachten statt zusätzlichen Wert zu schaffen.
Um die Jahrhundertwende war eine beträchtliche Zunahme in der Zahl der Zwischenhändler festzustellen. Sie übernahmen dabei neue Funktionen. und schufen Werte durch Nutzenkategorien wie Ort, Zeit und Verfügbarkeit. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war man entsprechend gezwungen, nach neuen Konzepten des „Wertes“ zu suchen.
Auch die damals vorherrschenden Preiskonzepte und Konzepte des Preisverhaltens mussten revidiert werden. Der Preis zeigte sich zunehmend weniger als eine Frage der berechenbaren Kosten der Produktion als vielmehr eine des Managements, weil die distributiven Systeme den Preis immer häufiger als ein Mittel zum Zweck einsetzten: Mit niedrigen Preisen versuchten sie gezielt hohe Absatzvolumina zu realisieren; hohe Preise dienten der Gewinnmaximierung bei niedrigem Absatz. Zunehmend wurden auch psychologische Preisstellungen eingesetzt.
Der Konsument hatte zu dieser Zeit in der ökonomischen Literatur eine nur geringe Bedeutung. Später wurde er als „ökonomisches“ Wesen betrachtet, nicht aber in seiner konsumierenden Funktion im Markt, wie ihn die Geschäftsleute sahen. Aus deren Feststellungen resultierte dann schließlich die Überzeugung, daß der Konsum das Ende und das Ziel der Produktion ist, was den Marketinggedanken sicherlich am stärksten geprägt hat.
Der Beginn des 20. Jahrhunderts – Die Entstehung des Marketing
1902 tauchten fast zeitgleich an den Universitäten von Wisconsin, Michigan und Illinois Vorlesungen über Distribution („distributive industries“) auf, die gemeinhin als die Vorläufer des Marketing ansehen werden. Wer genau den Anstoß dafür gab, ist nicht mehr nachzuvollziehen. In den Vorlesungsbeschreibungen wurde dabei das Wort „marketing (goods)“ verwendet – allerdings noch als Verb und nicht als Substantiv, und meist in Verbindung mit den damals bereits vertrauten Begriffen wie „distribution“, „trade“ und „commerce“. Inhaltlich ging es vor allem um diejenigen Prozesse, die vor dem Verkauf und der Werbung im Unternehmen angesiedelt waren. Die Lehrveranstaltungen wurden meist zusammen mit Praktikern bestritten. Da es zu den distributiven Problemen und Praktiken nahezu keine Literatur gab und es sich bei den Lehrveranstaltungen um etwas Neuartiges handelte, suchten die Lehrkräfte nach einer geeigneten Bezeichnung für ihre Inhalte. Etwa um 1905 tauchte das „Marketing“ dann erstmals als Substantiv auf.
Auslöser des Marketing waren also nicht Praktiker oder Vertreter der ökonomischen Theorie, sondern einzelne Lehrer an Hochschulen und ihre Studenten, deren Aktivitäten durch ein wachsendes Bedürfnis nach Wissen einer „angewandten“ Ökonomie gefördert wurden.
Frühe Publikationen zum Thema Marketing befasten sich entsprechend ausschließlich mit der Beschreibung, Erklärung und Begründung der beobachtbaren Marketingpraktiken. Den Autoren ging es weniger um die Entwicklung eines Gedankengebäudes oder einer Theorie, sondern zunächst allein um die Entwicklung einer Praxis zur Lösung von (praktischen) Problemen.
Schon in den Anfangsjahren des Marketing unterschieden sich die Studenten deutlich von den Ökonomie-Studenten, was teilweise auch heute noch an den Hochschulen beobachtet werden kann:
• Sie arbeiteten mehr empirisch als theoretisch,
• mehr praktisch als abstrakt,
• und mehr deskriptiv als philosophisch.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – Die Durchsetzung des Marketing
Nach der Entdeckungsphase des Marketing (1900 bis 1910 ) folgte eine Zeit der Konzeptbildung und der Definition und Klassifizierung von grundlegenden Begriffen (1910-1920). 1920 wurden die ersten Prinzipien des Marketing publiziert. 1924 gründete sich die „National Association of Teachers in Marketing and Advertising“. 1930 folgten die Marketingpraktiker mit der Gründung der „American Marketing Society“, die 1934 das „American Marketing Journal“ herausbrachte: Dieses wurde 1936 in das „Journal of Marketing“ umbenannt. 1937 vereinigten sich die Marketingpraktiker und -Lehrer zur „American Marketing Association“.
In den darauf folgenden Jahren wurde das Marketingkonzept kontinuierlich weiterentwickelt, hypothetische Annahmen verifiziert und quantifiziert sowie spezielle Gebiete des Marketing aufgebaut. Zwischen 1940 und 1950 erhielt das Marketing zunehmend seine Anerkennung als wissenschaftliche Disziplin, die ihr zuvor wegen zu großer Praxisnähe weitestgehend versagt geblieben war. Zwischen 1950 und 1960 widmete man sich stärker den Managementaspekten des Marketing, der quantitativen Analyse und den sozialen Bezügen des Marketing. Zunehmend wurden dabei auch andere wissenschaftliche Disziplinen, wie z.B. die Psychologie und die Soziologie in das Fachgebiet integriert.
1971 wurde mit Prof. Dr. Heribert Meffert der erste Lehrstuhl für Marketing in Deutschland geschaffen.
Heute ist Marketing eines weltweit anerkannte wissenschaftliche Disziplin mit hoher Lösungskompetenz für praktische Probleme, nicht nur im erwerbswirtschaftlichen Bereich. Zunehmend wird der Marketinggedanke auch von Non-Profit-Organisationen, Verbänden, staatlichen Einrichtungen und Staaten übernommen.